Harry Steele, der DREI. und die Kirche

Zeit für einen kurzen Rückblick auf den Besuch von Harry und Jez, den letzten DREI. Gottesdienst. Am Donnerstag den 05. März kamen die beiden hier an und wir haben uns, ähnlich wie damals in England, auf Anhieb wieder ausgetauscht, gemeinsam gedacht und ein gemütliches Bier getrunken.

Freitag waren wir dann zunächst im ICF zu einem Gespräch, danach im ZKM in der Ausstellung „Medium Religion“ – Pflicht für alle, die sich für eines oder beide der Themen interessieren! Hammer. Danach in der Wohnung, von der Harry schon so viel gehört hatte. Es war ein gutes Treffen mit Zwiebelkuchen (Danke Juliane!) und einem guten Abend. Leider ist mir dann irgendwann aufgefallen, dass ich den Kirchenschlüssel der Matthäuskirche nicht mehr dabei habe. Dumme Sache. Durch viel Mutmachen seitens unzähliger Leute (Ihr seid die Besten!) habe ich den Abend durchgestanden. Das Thema des DREI. war ja: Blind? Und das war mein erstes blindes Vertrauen an diesem Wochenende. Vertrauen darauf, dass der Schlüssel wieder auftaucht.

Was er dann auch getan hat: Ich hatte ihn pflichtbewusst an meinen Schlüsselbund geklickt. Nur leider an den Schlüssel des Carsharing Autos, den ich dann ebenso Pflichtbewusst wieder abgegeben hatte. Da kann man dann lange suchen. Gott sei Dank haben wir ihn Samstag Nacht dann wieder entdeckt. Puh.

Samstag morgen war mir übel. Ziemlich sogar. Ich ließ mir mein Frühstück noch einmal durch den Kopf gehen und der Tag hatte keinen guten Anfang. Nach einem kleinen, gemütlichen Brunch in der Wohnung und einem Spaziergang durch Karlsruhe kam dann Mirjas Anruf: Emilia ist von Stuhl gefallen, direkt und ungebremst auf den Hinterkopf. Ich kam gerade noch rechtzeitig zuhause an, um mitzuerleben, wie Emilia sich erbrochen hat. Sie war ohnehin schläfrig und nicht wirklich anwesend. Also: Kinderklinik. Gehirnerschütterung. Die erste Ärztin meinte, dass Mirja und Emilia 1-2 Tage im Krankenhaus verbringen sollten. Derweil drehte unsere Tochter schon wieder auf und war erstaunlich fit. Der zweite Arzt (nach drei Stunden in der Klinik) untersuchte sie nochmals sorgfältig und meinte, dass wir sie ruhig wieder mit nach Hause nehmen könnten. Gott sei Dank! Das wunderbare war, dass diese Arzt eine Jesus-Ausstrahlung hatte, wenn ihr versteht, liebevoll, geduldig. Gottes Geschenk für diesen Tag an uns. Ich schlief direkt neben Emilia beim Zubettbringen ein – mir war der Tag auch ein wenig viel. Harry hat am nachmittag mit Jez zusammen Freunde besucht und den Abend im Badischen Brauhaus verbracht.

Gemeinsam sind wir dann am Sonntag Morgen von Mirja zur Carsharing Station gebracht worden, um einen Van auszuleihen für die Transportfahrten des Tages. Tja. Und wenn mal der Wurm drin ist, dann ist er. Mirja fuhr gerade ab, als wir feststellten, dass das Buchungssystem unsere Buchung nicht erfasst hatte. Erst am Telefon in der Nowackanlage (mein Handy war leer und das Ladegerät lag noch in N5) konnten wir den Fehler bereinigen („So, jetzt müsste es gehen“, sagte der Mann vom Stadtmobil) und zurück laufen. Damit kamen wir viel zu spät zum CVJM Gottesdienst ins Waldheim. Nun ja. Aber die Gespräche waren fantastisch. Eine fremde Meinung ist Gold wert und wir kamen zu einer interessanten Erkenntnis: Um Gottes Auftrag für unsere Gemeinschaften umzusetzen, kann es sein, dass seine Kirche in Sheffield „weniger Kirche“ werden muss und die Gemeinschaft in der Wohnung beim CVJM hier in Karlsruhe etwas „mehr Kirche“. So fordert man sich gegenseitig heraus und begleitet den Weg des anderen.

Der Rest des Tages war stark vom Aufbau und der Durchführung des DREI. geprägt. Intensiv war die Zeit vorher für mich persönlich, denn nach den Erlebnissen der letzten Tage war meine Haut dünner als sonst. Um so mehr war es ein Vorrecht mit diesem Team zusammen in der Arbeit stehen zu dürfen. Wir sind uns glaube ich ein Stück näher gekommen und haben miteinander gelernt. Der Gottesdienst war einfach und kraftvoll. Eine wichtige Kombination und ein Meilenstein, denn er hat einiges in Bewegung gebracht. Ich bin gespannt, was sich daraus entwickeln wird.

Soweit mal in aller Eile und zwischendrin. Die Woche hat im Moment ihre eigenen Fragen und Herausforderungen wegen der Tragödie des Amoklaufs. So laufen meine Tage auch deutlich anders ab.

England: Common Worship

415GQ60CQXL._SL160_.jpgEine (außer-)gewöhnliche Sache durfte ich miterleben bei Harry und Zoe – morgens treffen sich Harry und zwei seiner Mitarbeiter zum Gebet. Nicht jeden Morgen gemeinsam, aber an zwei, drei Tagen in der Woche. An sich noch nichts besonderes und doch irgendwie schon, denn sie benutzen ein Buch dazu: „Daily Prayer (Common Worship: Services and Prayers for the Church of England)“ (Church House Publishing) und das vereinigt sie mit vielen Menschen in ihrem Land. Früher war es das „Book of Common Prayer“ welches 1662 erstmals aufgelegt wurde. Harry, als ordinierter Pastor der anglikanischen Kirche, gibt sogar das Gelübde, dass er jeden Morgen und jeden Abend mit diesem Gebet beginnt und beschliesst. Am Anfang war es für mich etwas befremdlich, aber sehr bald wurde es zu einer wunderschönen Erfahrung und auch jetzt lese ich es gern, zumindest am Morgen. Es hat unterschiedliche Teile, Psalmen, Gebete, Passagen aus dem Alten und Neuen Testament, Fürbitten, Dank und Lob und sogar Erinnerungen an „Saints“ der anglikanischen Kirche. Und es verbindet eine ganze Kirche in einer Art und Weise, wie es die Herrenhuter Losungen nicht wirklich können. Da es bei uns morgens vom Aufwachen von Emilia an recht turbulent zugeht, stelle ich fest, dass eine bestimmte und irgendwie geführte Zeit mit Gott heilsam ist, hilfreich und – so hat es Harry ausgedrückt – wie „Porridge“ (Haferbrei – Arbeiterfrühstück) „es ist nichts wirklich besonderes, ein gewöhnliches Frühstück, aber wenn Du es zu dir nimmst, merkst Du, wie es dich sättigt und lange durch den Tag trägt.“ Stimmt.

Links:

Offizielle Seite der Kirche Englands

Transforming Worship in der Kirche Englands

Das tägliche Morgen-Gebet aus dem Buch „Daily Prayer: Common Worship…“ (es wurde zwar gesagt, es gäbe einen Feed, aber bei mir funktioniert das nicht – kann einer der Kompetenten Jungs mal schauen? Ich hätte das gern als Feed…Danke!)

Das tägliche Abendgebet aus dem Buch „Daily Prayer: Common Worship…“

Kirche in England: Kulturell aktiv sein bei „Teenage Kicks“

Ein paar Reflektionen von unserer Zeit in Sheffield habe ich noch im Kopf und hoffentlich finden sie ihren Weg auch nach und nach hier her.

Untergebracht waren wir, wie schon erwähnt, bei Harry Steele, dem Youthdeacon der All Saints Kirche in Sheffield. Seine Geschichte ist schon faszinierend genug (aus deutscher Perspektive) – von Hause aus ist Harry nämlich Pfingstler und hat auch eine Pfingsbibelschule besucht – macht nichts, sagt die Church of England und hat ihn trotzdem ordiniert und ihn nach Cambridge zum weiterstudieren geschickt. Man denke sich das in Deutschland – ohne Universitätsabschluss geht da gar nichts. Harry hat die Jugendarbeit in der All Saints weiter und ausgebaut.

ntt_image_83Ein interessantes Projekt, das ich mir anschauen konnte war „Teenage Kicks“ – im Prinzip eine Discoveranstaltung für alle unter 18 Jahren. Laut, turbulent und wahnsinnig gut organisiert kommen da bis 300 Teenager zum Abtanzen, feiern, X-Box zocken und chillen in den Gemeindesaal der All Saints. Dieser verwandelt sich durch viel Aufwand und ein wahnsinniges Materialaufgebot (Lichtanlage, Technik vom Feinsten) in eine recht erwachsene Disko. Das größte Event in Sheffield für Teenager wird von einer Kirche veranstaltet – es gibt auch immer 2 Bands, die auftreten – eine davon ist irgendeine Band aus Sheffield, die sich extra für dieses Event beim Teenage Kicks Team bewerben müssen.

Wenn man von Kirche als Kultur beeinflussender Größe spricht, dann ist Teenage Kicks bestimmt ein Schritt in dieser Richtung. Gepredigt wird nicht von vorne, nur durch die Freundlichkeit, die Liebe zum Detail, die Teenagerfreundlichen Preise und den festen Willen dieser Altersgruppe einen richtig guten Abend zu machen. Einzig in einer Ecke läuft eine Präsentation mit den übrigen Veranstaltungen ab, zu denen man einlädt. Der Event hat viele Mitarbeiter (mehr als 20) und die Stimmung bei denen war klasse, obwohl sie wirklich viel arbeiten um das alles möglich zu machen. Auf meine Frage: „Denkst Du, dass sie schon in sich eine Gemeinschaft bilden“ war die Antwort: „Natürlich“ einige der Mitarbeiter sind nicht wirklich Teil der All Saints Church, fühlen sich aber diesem Team zugehörig und leben und arbeiten für Gott an diesem Platz.

Ich fand das beeindruckend und hat mich sehr an das Konzept von „Communitas“ bei Alan Hirsch erinnert. Ein Zeitraffer Video von Mai 2007 gibt es hier zu sehen, das den ganzen Event vom Aufbau bis zum Abbau dokumentiert. Ich habe im November 2008 noch deutlich mehr Technik und so gesehen, aber man bekommt einen ganz guten Eindruck (Klick.).

Dicke Scheiben von der Kirche Englands

Dicke Scheiben sollte man sich abschneiden von der Kirche Englands. Zumindest im Bereich der Landeskirche (solltet ihr das noch nicht gelesen haben: Sandy, Simon, ist hier die Aufforderung…) Nicht nur mit der Initiative der „Fresh Expressions of Church“ geht es da voran, nein, es soll eine „principled and careful loosening of structures“ (auf Prinzipien gegründete und vorsichtige Öffnung der Strukturen) der gesamten Kirche geben. Das zumindest steht auf Seite 6 des „Codes of Practice: Mission Initatives“ und wird weiter ausgeführt. Es soll möglich sein die Parochiegrenzen aufzulösen und auch andere Wege der Ordination für Gemeindegründer zu finden, denn nicht jeder hat eine Pastorale Begabung, viele sind auch Pioniere oder Entwickler. Und das sogar nachdem eine Initative gegründet wurde.

Zum finden ist es bei Jonny Baker, der kaum genug Lob über diese Entwicklungen loswerden kann:

„this must be the biggest change in the church of england for many decades. rowan williams carries a vision for what this legislation makes real – a truly mixed economy church.“

Jonny führt alles auf den vor viereJahren erschienen Bericht „Mission-shaped church“ zurück und zeigt auf, dass ein Team von Leuten, die viel geschrieben und viel geredet haben im Hintergrund diese Entwicklung so rasant und konsequent gebracht hat. Mark Berry, den ich in Houston kennen lernen durfte, begrüßt diesen Schritt sehr und schreibt in den Kommentaren:

„it looks like the place for communities like ours (safespace) to find some sense of connection and belonging.“

Bleibt zu hoffen, dass wir in Deutschland eine Landeskirche erleben, die lernbegierig ist und offen für die „faithful radicals“, die es auch hier gibt. Es gäbe noch viel mehr zu schreiben, über die feste Verwurzelung der Kirche von England in den Inkarnationsgedanken und der Freiheit für Initiativen, die es jetzt schon gibt. Nur diese 5 Punkte hier sind schon einfach klasse:

The Anglican Communion has identified five marks of mission:

  • to proclaim the Good News of the Kingdom
  • to teach, baptise and nurture new believers
  • to respond to human need by loving service
  • to seek to transform unjust structures of society
  • to strive to safeguard the integrity of creation and sustain and renew the life of the earth.

Ich freue mich auf jeden Fall Ende Juni mal in Sheffield vorbei zu schauen und Jürgen Baron zu besuchen und George Lings von der Churcharmy dabei wieder zu sehen. Ach es gibt so viel zu lernen…was denkst Du über die Entwicklungen in England? Wie sollte die Kirche in Deutschland reagieren?

UPDATE: Peter Aschoff schreibt auch etwas zu diesem Thema – lesenswert!