Ich lese seit ein paar Tagen in einer faszinierenden Dissertation „Der Gedanke des allgemeinen Priester- und Prophetentums. Seine gemeindetheologische Aktualisierung in der Reformationszeit“ (Klaus P Voss) und da bin ich über folgende Sätze von Luther gestolpert:
„In der Erklärung des 1. Petrusbriefs (1523) führt Luther aus, daß der Unterschied zwischen denen, ’so ytzt Priester heyssn‘ und den übrigen Christen ’nur eyn unterscheyd eusserlich des ampts halben‘ sei, ‚datzu eyner von der gemeyne beruffen wirtt‘.‘ Jede qualitative Vertiefung dieses Unterschieds lehnt Luther ab. Darum fährt er fort: ‚Aber für Gott ist keyn untercheyd, und werden nur darumb ettliche auss dem hauffen erfurtzogen, das sie an statt der gemeyn das ampt füren und treyben, wilchs sie alle haben, nicht eyner mehr gewallt habe denn der ander.‚“ (Voß, S. 46)
„Noch unmissverständlicher und dezidierter hatte er dies bereits in ‚De Captivitate Babylonica'“, auch aus dem Jahre 1520, getan. Den Grundsatz, ‚daß wir alle gleichermaßen (aequaliter) Priester sind‘, hatte er dort so ausgelegt: ‚dieselbe Vollmacht (eande potestatem) an Wort und Sakrament zu haben‘.“ (Voß S. 47)
Natürlich ist das auch im Kontext seiner Rebellion gegen Rom zu sehen, aber eben nicht nur – Luther geht es „generell um eine Dekonstruktion jeder klerikalen Vollmachtexklusivität“(Voß, S. 48). In einer Zeit in der von der Landeskirche im Allgemeinen immer noch eine Prädikantenausbildung gefordert wird, bevor man auf die Kanzel darf, sollte man sich diese Worte von Luther wirklich noch einmal anhören:
„Die Evangeliumsverkündigung lag nach Luthers eigener Definition als Kern- und Grundfunktion dem Amt mit allen seinen anderen Einzelfunktionen zugrunde. Dieses ‚predigampt‘ erhält nun aber gerade nicht den Rang einer unteilbaren Amtsvollmacht. Es wird ihm vielmehr, analog zu den anderen Amtsfunktionen, seine Exklusivität genommen: Das ‚predigampt‘ und ‚ministerium verbi‘ ist allen Christen ‚gemeyn‘.“ (Voß S. 48)
Der Titel des Posts ist natürlich provokant gemeint, denn Luther wollte nicht eine hierarchielose Kirche, aber im Nachdenken, wo wir uns befinden und wie man praktisch in der Landeskirche lebt, ist mir aufgefallen, wie stark Luthers Gedanken (und auch manche von Calvin, Voß 114ff) in Vergessenheit geraten sind, ob der Strukturen in denen die Kirche heute lebt. Umso mehr verstehe ich es als Ansporn Verantwortung und Privilegien zu teilen und als „Leib zu leiten“, wo es immer möglich ist. Denn viele sind so sehr in ihrem „Du Chef, ich Hilfarbeiter“ Denken gefangen, dass es sie überfordert als „Teil des Leibes“ zu leiten und wenn jemand nicht gemeinsam Verantwortung tragen will kann man ihm oder ihr das auch nicht abverlangen, höchstens in einem Entwicklungsprozess dorthin begleiten.
Habe scheinbar ohne es zu wollen einen Theologiepost geschrieben. Manchmal kommt das Studium wohl durch…
p.s. den Post habe ich schon am Montag geschrieben, nicht das sich jemand wundert wieviel Zeit der Björn so vor einer Wochenendfreizeit noch hat…