Als ich gestern so ein wenig über Köhlers Rücktritt nachgedacht habe und die Krise der derzeitigen Regierung konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Lena und Löw derzeitig wichtiger für unser Land sind als irgendwer aus der Regierung. Es ist zwar eine altbekannte Wahrheit, aber ich stelle immer wieder die Richtigkeit dieser Wahrheit fest: die Popkultur ist unsere Leitkultur geworden.
Wer schenkt denn einer Regierung noch Vertrauen, deren gelber Teil offen vor der Wahl gelogen hat (WER hat denn wirklich „Mehr Netto“ angesichts der Weltfinanzlage erwartet?) und deren schwarzer Teil seltsam farblos daherkommt? Das war bei den anderen Farben ja auch nicht anders, falls jemand eine Parteidiskussion sucht…
Woher also nehmen was fehlt – ich zögere das abgedroschene „Werte“ zu sagen, vielmehr scheint es mir um Identität zu gehen. Womit kann ich mich identifizieren, wenn nicht mit den „Leistungen“ der Popkultur? „Lena, Du bist Deutschland“ schafft es über Nacht einem Land etwas zu geben, wo nach es hungert: Selbstwert. Ich behaupte, dass wir vor allem die Einzelhelden suchen. Alles dreht sich um Löw, das aber nicht Löw spielen wird, sondern 11 Spieler auf dem Rasen sind vergessen wir, mehr noch, ich denke, dass ein Fußballteam auf dem Rasen ist und der Einzelne (auch ein Ballack) vielleicht weniger wichtig ist, als man denkt.
Was für ein Fazit ziehen? Um jetzt nicht mit einer wie auch immer gearteten frommen Keule zu kommen, stelle ich einfach fest, dass wir Helden suchen, um Sinn zu bekommen. Selbstlosigkeit und Hingabe funktionieren auf der großen Leinwand nach wie vor wunderbar. Die Lenamanie und der sorgenvolle Löw sagen letztlich mehr über uns als Deutschland und uns als Teil von Deutschland aus als uns vielleicht lieb ist. Die Antwort auf die Frage wie wir das ändern können bleibe ich für heute schuldig. Diese Antwort braucht auch meiner Meinung nach mehr Realität als Buchstaben in der Virtualität. Eine Antwort muss aus dem Leben einer Gemeinschaft ablesbar sein – aber vielleicht hast Du eine?
Bei der WM 2006 schien es, als ob ganz Deutschland diesen Selbstwert wieder bekommen hat. Hier war auch die gesamte Mannschaft im vordergrund.
Aber Du hast recht. Nach der WM war das auch wieder alles vergessen und man hat sich etwas neues gesucht, woran man sich klammern kann. Das gab es nicht und dann kam die Finanzkrise.
Wir Deutschen lassen uns davon so beeinflussen, dass auch unser gemüt sich dem anpasst was gerade aktuell ist.
Ich glaube, dass wir mehr auf die Erfolgsgeschichten unserer Gemeinschaft hören sollten. Geschichten von „ganz normalen Menschen“ wie Du und ich. Sie sind nicht so spektakulär als das es in Fernsehn gehört, aber sie sind realistischer für die Menschen nach Löw und Lena.
P.S.: Schön, dass Du was über den Fußball geschrieben hast 😉
Das Dramatische an dieser ganzen deutschen Politik-Misere ist doch, dass die Mehrheit der Deutschen gar nicht kapiert hat, worum es überhaupt geht. Dass es um Krieg geht, um die Rechtfertigung eines oder sogar mehrerer Kriege mit deutscher Beteiligung. Darum, dass listige Journalisten bei einem Radio-Interview mit Köhler genauer hingehört haben und einen Satz daraus an die Öffentlichkeit gebracht haben, der nicht eindeutig war in der Aussage. Einen Satz. Darum, dass die politische Kultur in Deutschland lechzt nach zweideutigen Aussagen und Provokationen, dass keiner mehr gerügt wird für offensichtliche Fehlinterpretationen, nicht die Presse, nicht Politiker, auch nicht die an höchster Stelle. Dass keiner mehr Paroli ergreift für den Anderen. Dass der Politik-Überdruss in der Gesellschaft so groß ist, dass sich niemand mehr interessiert für die Wahrheit. Dass deutsche Poltiker mehr denn je ihr Gesicht wahren wollen, in einer Zeit, in der es den Leuten nicht mehr um Farben geht, sondern um Führung an sich.
Zurücktreten aus dem höchsten Amt in dieser Zeit aus diesem Grund – das hat etwas von Feigheit, von fehlender Größe und Erhabenheit über den Dingen. Mehr noch, es ist gefährlich sogar, für dieses Land, da bin ich sicher. Ich bin empört und enttäuscht, nicht über die Person Köhler, sondern über die Notwendigkeit dieses Schrittes.
Lena hat uns Selbstwert gegeben, das stimmt wohl. Sie steht vor allem für das, was kaum eine europäische Persönlichkeit in diesen Zeiten bieten kann: Menschlichkeit, Authentizität und Mut. „Well, I don´t see myself as a favourite, so.. I´m relaxed!“ Das ist es was wir brauchen in der Politik: mehr Selbstlosigkeit, weniger Ego. Mehr Mut, weniger Haarspaltereien. Mehr selbstverständliche Führung und weniger Diffamierung. Das sollte eigentlich auch deutscher Fußball sein. Wir werden sehen.