Die Jacke

Scheinbar zieht mein Leben Geschichten dieser Art an. Oder brauche ich einfach nur die Erkenntnis, dass ich es nicht auf die Reihe bringe, um am Boden zu bleiben. Trotzdem wäre es mir lieb zukünftig weniger Adrenalinstösse dieser Art zu bekommen:

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Ich habe letztes Jahr Mirja einen Nähkurs zu Weihnachten geschenkt, den sie im Januar auch gemacht hat. 4 für sie wunderschöne Abende, an denen sie hauptsächlich an einer schönen, gefütterten Jacke nebst Kapuze und sogar noch einer Mütze dazu gearbeitet hat (auf dem Bild zu sehen). Ihre erste Jacke und es war kompliziert, aber sie hat es geschafft (Lob und Ehre an meine Frau, ich hätte alles vorher in die Mülltonne geworfen.)

Am Montag ging ich mit Emilia einkaufen und weil das Wetter ja eher unbeständig ist habe ich Emilia die Jacke angezogen – irgendwann auf dem Rückweg habe ich sie wegen der freundlichen Sonne wieder ausgezogen. Im allgemeinen sollte man denken die Aufgabe eine Jacke in einem Kinderwagen unterzubringen sei eine leichte. Ich legte die Jacke in die Tasche unter dem Sitz, auf die Einkäufe, und ging mit Kind und den inzwischen gesammelten Steinen (‚Tein) Richtung Zuhause.

Ignorant wie ich bin bemerkte ich das Fehlen der Jacke, die NATÃœRLICH AUS DER TASCHE GEFALLEN WAR, nicht. Oh man. Mirja fragte gestern Abend beiläufig: „Du wo ist denn Emilias grüne Jacke, ich kann sie nirgends finden…“

Mir sackten die Beine weg, denn was mein Hirn bis dahin geschafft hatte zu verdrängen zog in einem Fast-Cut-Action Film vor meinen Augen vorbei: „Du hast Mirjas selbstgenähte Jacke verloren und bemerkst es jetzt erst, ca. 32 Stunden später“ Blitze im Kopf, Knie wackeln, meine Sicht wird schwarz. Scheisse. Die Scheisse hat den Ventilator getroffen. Bin nachts noch los mit dem Rad schauen, ob das Ding irgendwo hängt. Nette Leute hängen ja verlorene Sachen so hin, dass sie gesehen werden können. Keine Jacke. Schlecht geschlafen. Beim Morgengrauen inneres Grauen: Die Jacke. Suche beim ersten Licht des Tages: Keine Jacke. Fühle mich wie ein getretener Hund, der eine Woche nichts zu Essen bekommen hat und möchte nur noch jaulen.

Fange an ein Plakat zu gestalten, das wir überall aufhängen wollen (hier ist das pdf: hier ist das pdf), mehr um mein Gewissen zu beruhigen und wieder aktiv zu werden. Kenne mich selbst kaum noch, so krass schlecht fühle ich mich. Meine Frau kann ich nur loben – sie war ein wenig traurig, hat aber gemeint, dass wir schon schlimmere Sachen erlebt haben. Tolle Frau. Fühle mich wie ein Bettler neben einer Prinzessin – immer noch mies. Ach ja: Gebet – Gott hat bestimmt wichtigere Sachen zu tun als sich um die Jacke unsere Tochter zu kümmern (ist eine Wiedergabe meines Gefühls, nicht meiner reflektierten theologischen Meinung) – natürlich haben wir trotzdem gebetet. Also los, Plakate aufhängen – Anfang im Kindergarten nebenan. Herz klopfen und immer noch wacklige Beine (innere Ãœberzeugung: Das bringt nichts. Garnichts. Ich mache es nur, um etwas Erleichterung für mein Gewissen zu bringen)

Klingeln. Aufmachen. „Äh, ich hab da so ein Plakat, weil wir, also ich am Montag eine kleine Kinderjacke verloren haben, wenn es…“ Freundliche Antwort: „war das so eine grüne?“ Ich: „Äh, ja“ (ein Kind kommt herangestürmt) „Soll ich die Jacke holen?“ (Kind holt die Jacke)

Plötzlich ist die Sonne wieder da und die Vögel singen und die Welt ist wieder mehr im Gleichgewicht, meine kleine Welt. Die Kinder vom Kindergarten bekommen Gummibärchen und Merci und die Frau, die die Jacke gefunden und abgeben hat auch noch eine Kleinigkeit.

Man bin ich froh. Gar kein Ausdruck. Ich verstehe zum ersten mal vom Gefühl her die Frau, die ihren Groschen verloren hat (das war übrigens Teil ihres Hochzeitsschmucks, nicht ein Geldstück per se, also was Wertvolles für innendrin…) und ein Fest feiert. So fühle ich mich auch. Hihi.

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